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Institut für Geographie und Geologie

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WGM64 - Einleitung

Vernünftige Mobilität – eine Einleitung

von Konrad Schliephake und Volker Kleinfeld

Ist Mobilität, ist Bewegung vernünftig oder unvernünftig? Die Implikationen der Fragestellung eröffnen sich erst auf den zweiten Blick: Denn natürlich gibt es ohne Bewegung, ohne Transport kein Dasein in der biotischen und der abiotischen Welt, ist unser Leben nicht denkbar. Die arbeitsteilige Wirtschaft, der Austausch von Gedanken, Ideen und Lebensformen, alles das bedarf der Beförderung. Der Streit, ob dieser Verkehr, dieser Transport von Gütern, Personen und Nachrichten der Produktions- oder Konsumsphäre zuzuordnen seien, wogt ebenso lange wie sich Wissenschaftler mit verkehrsräumlicher Forschung beschäftigen, und er bleibt ungelöst.

Für den Personenverkehr ist zumindest festzuhalten, dass von den knapp 34 km, die jeder Deutsche (alle Gruppen, alle Regionen) täglich zurücklegt, 48 % mit dem Fahrtzweck "Freizeit, Erholung, Urlaub" motiviert und damit konsumorientiert sind.

Die Nachfrage nach Verkehrsleistungen steigt weiter, wie wir aus den folgenden Beiträgen erkennen und es sieht so aus, als ob eine Obergrenze der Nachfrage, eine Sättigung – zumindest im Straßenverkehr – noch nicht erreicht seien. Eine solche Zunahme von Verkehr und Transport ist auf den ersten Blick nicht negativ zu beurteilen. Motorisierter Individualverkehr (MIV) bedeutet Freiheit, Unabhängigkeit, Erreichbarkeit unendlich vieler Standorte in einem praktisch ubiquitären Straßennetz, bedeutet günstige Bereitstellung von Investitions- und Konsumgütern aus allen Teilen des Landes und der Welt insgesamt für Unternehmen und Verbraucher.

Doch die negativen Folgen des schnell zuwachsenden Verkehrsaufkommens sind nicht zu übersehen und werden lauthals beklagt: Flächenverbrauch, Lärmemissionen und – unsichtbar, aber noch gefährlicher – der Ausstoß von klimabeeinflussenden Schadstoffen.

Ökologischorientierte Verkehrsforscher haben daher folgende Forderungen an Gesellschaft und Raumplanung erhoben:

  • Verkehrsvermeidung (z.B. durch sinnvolle Standortwahl der Daseinsgrundfunktionen und Beendigung der staatlich geförderten Landschaftszersiedelung);
  • Verkehrsverlagerung (z.B. auf umweltfreundlichere und schadstoffärmere Verkehrsmittel);
  • Verkehrsverminderung (z.B. durch Verteuerungsmaßnahmen der Energie, des Fahrwegs…).

Diese Gedanken sind auch den im vorliegenden Sammelband vertretenen Autoren nicht fremd. Aber sie gehen einen alternativen Weg. Wo andere lautstark jammern, Aktionen des Staates und eine schleunige Reform der Gesellschaft fordern, wollen sie den einzelnen tagesmobilen Bürger ansprechen und ihm zeigen, dass es zum Pkw mit seinem Flächenverbrauch, seinen Emissionen (und den hohen Kosten für den Nutzer) den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) als vernünftige Alternative gibt. Busse und Bahnen, weitaus besser als ihr Ruf, verbinden heute nicht nur die großen Zentren miteinander, sondern erschließen ebenso die ländlichen Räume mit Verdichtungsansätzen, auf vielen Achsen sogar im Takt. Daneben gelingt es in Mittel- und kleinen Großstädten, qualitätvolle Stadtverkehre flächenerschließend aufzubauen und immer neuen Herausforderungen von Seiten der Nachfrager anzupassen.

Gerade im zentralen Teil Unterfrankens, rund um das Oberzentrum Würzburg, hat sich in den letzten Jahren die Szene schnell gewandelt. Wo früher parastaatliche Unternehmen auf Schiene und Straße Nahverkehr "wie immer schon" anboten und die regionalen Körperschaften diese mehr oder weniger kommentarlos zur Kenntnis – oder auch nicht – nahmen, ist nun Kreativität und Engagement gefragt.

Dies hat das Bayerische ÖPNV-Gesetz von 1993/1996 auch so festgeschrieben, und die kreisfreien Städte und Landkreise haben darauf mit der Erarbeitung der gesetzlichen vorgeschriebenen Nahverkehrspläne und Nahverkehrsentwicklungspläne reagiert.

Zusätzlich gründeten die meisten eigene Nahverkehrsgesellschaften, oft in Gemeinschaft mit größeren und kleineren Verkehrsunternehmen, die als steuernde und koordinierende Drehscheiben mit der kontinuierlichen Verbesserung des Angebotes betraut sind.

Die langjährige Beschäftigung der Unterzeichner mit kommunalpolitischer Planung und verkehrsgeographischen Fragen nebst der Umsetzung in planerischen und schulischen Bereich ließen nun den Wunsch entstehen, die neuen Strukturen herzustellen und die Impulse zur Verbesserung des ÖPNV-Angebotes zusammenzufassen. Dies jedoch nicht als wie immer geartete "Festschrift", sondern zielgerichtet orientiert auf einen wichtigen Teil der tagesmobilen Bevölkerung, den Schüler. Altersmäßig im Übergang zwischen "Muss-" und "Kann-Fahrer", offen für ökologische Impulse, aber auch seine persönlichen Lebensformen suchend, kann er im Unterricht eigenverantwortlich an die Problematik herangeführt werden. Mit ausreichendem Sachwissen und den Instrumenten der kritischen Reflexion wird es ihm als jungen Erwachsenen leichter fallen, jeden Tag bezüglich seines Konsumverhaltens insgesamt und seiner Verkehrsmittelwahl im Besonderen die vernünftige Entscheidung zwischen den alternativen Angeboten MIV und ÖPNV zu treffen.

Dabei wollen die Autoren nicht mit erhobenem Zeigefinder dozieren, sondern die notwendigen Wissenselemente einschließlich der Daten und der weiterführenden Literatur textlich und graphisch aufarbeiten.

Daraus resultiert ein dreistufiger Ansatz wie folgt:

  1. Wissenschaftliche Texte und Materialien zu einzelnen Problemfeldern, die jeweils ein verkehrsgeographisches Thema mit Standorten und Räumen in Deutschland gesamt bzw. Unterfranken verknüpfen;
  2. Didaktische Hinweise bzw. Umsetzungen, die dem Lehrer die Einsatzmöglichkeiten im Unterricht verdeutlichen, z.T. mit zusätzlichen Materialien.

    Diese beiden Teilbereiche fasst der vorliegende Band in jeweils getrennten, aber aufeinander abgestimmten Beiträgen zusammen. Dabei sind die Graphiken und Materialien bewusst verkleinert abgebildet, da sie im Bereich 3 nochmals separat aufgearbeitet sind.

  3. Materialien und Abbildungen unmittelbar für den Unterrichtseinsatz, in der Regel aus den unter 1. und 2. veröffentlichten Aufsätzen, daneben weiteres Informationsmaterial der einzelnen Verkehrsgesellschaften. Diese liegen als CD-ROM bzw. Folien vor und können bei den Verkehrsgesellschaften bestellt werden (s. Adressen im Anh.).

Die Materialien sind primär für den gymnasialen Unterricht in der 11. Klasse ("“Analyse eines ausgewählten Problemfeldes im Heimatraum") konzipiert. Doch sind die meisten sowohl von der Verständlichkeit als auch der Interessenlage der Schüler her ebenso in anderen Schulformen und Jahrgängen verwendbar. Einige Themen eignen sich auch zum Einsatz in anderen Fächern wie Wirtschafts- und Rechtslehre… bis hin zum Kunstunterricht (Gestaltung von ÖV-Stationen!). Auf den ursprünglich geplanten Anhang mit Begriffserläuterungen haben die Herausgeber verzichtet und stattdessen die Autoren ermahnt, alle Fachbegriffe beim ersten Vorkommen innerhalb des Beitrags sachgerecht zu definieren.

Die vorliegenden Materialien sind auf den Entwurf des Erdkunde Lehrplans für die 11. Jahrgangsstufe, der voraussichtlich 2004 in Kraft tritt, abgestimmt. Dort heißt es in der Vorbemerkung„ der Erdkundeunterricht in der Jahrgangsstufe 11 stellt die in der Unter- und Mittelstufe an ausgewählten Raumbeispielen gewonnenen Kenntnisse und Einsichten in globale Zusammenhänge, blickt dabei aber, wo immer möglich, auf den Heimatraum zurück. Damit erfassen die jungen Erwachsenen die Erde in verschiedenen Maßstabsebenen und üben sich in der Anwendung geographischer Arbeitsweisen sowie in Abstraktion und Modellbildung bei der Erfassung raumwirksamer Phänomene und Prozesse. Darüber hinaus wird ihr ökologisches Bewusstsein gezielt geschult und somit die Bereitschaft gefördert, für den nachhaltigen Umgang ihrer Umwelt einzutreten.“ Themenschwerpunkte sind dabei „Raumstrukturen und Raumplanung“ unter anderem unter der Berücksichtigung von Verkehrsleitplanung und Verkehrsberuhigung. Der sehr umfassende Begriff der „Strukturanalyse eines Raumes“ ist der „Analyse eines ausgewählten Problemfeldes im Heimatraum“ gewichen. Durch die Beschäftigung mit dem ÖPNV im Heimatraum wird dieses Ziel des Lehrplans punktgenau erreicht.

Auch in der Kursphase der gymnasialen Oberstufe können die Materialien eingesetzt werden. Denn es ist wichtig, die jungen Erwachsenen für die Bedeutung des ÖPNV zu sensibilisieren.

Die ursprüngliche Idee für diesen Band entwickelten die Unterzeichner auf Anregungen hin, die Herr Landrat E. Zorn (Lkr. Würzburg) und der Ministerialbeauftragte für die Gymnasien in Unterfranken, Herr H. Mündlein, der Allgemeinen Personennahverkehrs-GmbH des Lkr. Würzburg übermittelten. Die Geschäftsführer der APG, Herren Dipl.-Volkswirt J. Riedmayer und Dr. A. Schraml, stellten die Weichen für eine kontinuierliche Betreuung durch die Geschäftsstelle der APG mit Herrn Geschäftsstellenleiter Dominik Stiller.

Der APG assoziierten sich die Würzburger Straßenbahn (Herr Dipl.-Ing. Paul Lehmann), die Main-Spessart Nahverkehrsgesellschaft mbH (Herr W. Endres, Frau Dipl.-Geogr. M. Mützel) und die Nahverkehrsbeauftragten des Landratsamtes Kitzingen (Herr Günter Rauh, Frau Dipl.-Geogr. P. Sauer) mit vielfältiger Beratung und eigenen Beiträgen.

Für die übrigen Texte konnten Kolleginnen und Kollegen des Geographischen Instituts der Universität Würzburg ebenso wie Absolventen des Instituts, dem Mitherausgeber durch frühere Mitarbeit an Projekten vertraut, gewonnen werden. Die Aufnahme in die Schriftenreihen der Würzburger Geographischen Manuskripte bzw. der APG bot sich an, finden sich dort schon zahlreiche frühere in Zusammenarbeit mit den regionalen Körperschaften und Nahverkehrs-Gesellschaften konzipierte Studien.

Trotz der vielfältigen institutionellen Unterstützung wäre der Band nicht so schnell fertig geworden ohne den Einsatz von Herrn cand. geogr. Christoph Süß, der als künftige Erdkundelehrer sein Gefühl für die Schnittstelle zwischen Fachwissenschaft und Didaktik einsetzte und dem daneben die graphische Gestaltung der Texte zu verdanken ist. Ein Großteil der technischen Arbeiten konnte am Geographischen Institut der Universität Würzburg (Lehrstuhl Kulturgeographie, Prof. Dr. Günter Löffler) geleistet werden, wo Frau B. Foster für umfangreiche Schreibarbeiten und der Arbeitsgruppe ÖPNV mit den Herren cand. geogr. Florian Gerstner, Kristof Hofmeister und Tilman Schenk für Rechen- und graphische Arbeiten zu danken ist.



Würzburg, im März 2003

Konrad Schliephake
Volker Kleinfeld

Adressen der beteiligten Nahverkehrsgesellschaften

Allgemeine Personennahverkehrs-GmbH (APG)
Juliuspromenade 40-44
97070 Würzburg
Tel. 0931-32120-0
Fax 0931-32120-99
www.apg-wuerzburg.de
info@apg-wuerzburg.de

Würzburger Straßenbahn-GmbH
Bahnhofstraße 12-18
97072 Würzburg
Tel. 0931-36-0
Fax 0931-36-1354
www.wvv.de
info@wvv.de

Main-Spessart-Nahverkehrsgesellschaft MbH
Wernfelder Straße 30
97737 Gemünden
Tel. 09351-99800
Fax. 09351-99001
www.msp-nahverkehr.de
info@msp-nahverkehr.de

Landratsamt Kitzingen
Der Nahverkehrsbeauftragte
Kaiserstraße 4
97318 Kitzingen
Tel. 09321-9280
Fax 09321-928-381
www.kitzingen.de
petra.sauer@kitzingen.de